Historie
Wie kam es vor 60 Jahren zur Gründung der LG Viersen?
Aufbruch in schwerer Zeit
(aus der Vereinschronik „50 Jahre LG Viersen 1947 e.V.“ von Dr. Ludwig Hügen, 1997)
Am 10. April 1947 schließen sich in Viersen achtzehn junge Menschen unter Leitung von Paul Funk, der erst vor wenigen Wochen aus einem Internierungslager der Alliierten entlassen worden war, zusammen, um einen Sportverein zu gründen.
Die Neugründung eines Vereins wäre, aus heutiger Sicht betrachtet, der Presse nicht mehr als eine Randnotiz wert, und man würde schnell zum Tagesgeschehen übergehen und erst einmal die Entwicklung dieses jungen Vereins abwarten, bevor man sich näher mit ihm befasste, wäre da nicht das denkwürdige Datum der Gründung, das Nachkriegsjahr 1947! Um sich zu erinnern, was es bedeutete, sich zum damaligen Zeitpunkt der „Körperertüchtigung“ zu widmen „ und unter diesem Ziel wurde bis dahin fast ausschließlich der Sportbetrieb gesehen „muss man einen Blick zurück in eine Zeitepoche tun, wie man sie schrecklicher wohl nie in der deutschen Geschichte erlebt hat.
Das Deutsche Reich hatte nur zwei Jahre zuvor den II. Weltkrieg verloren und vor den Alliierten kapituliert, das vormalige Reichsgebiet war von den vier Siegermächten, den USA, der UdSSR, Großbritannien und Frankreich besetzt und in vier Zonen aufgeteilt worden, die nur spärliche Verbindungen unterhielten, nicht zuletzt, weil das Verkehrsnetz völlig zusammengebrochen war. Fast alle deutschen Großstädte und viele Dörfer waren mehr oder weniger zerstört und zerbombt; in Viersen waren 40 % des gesamten Wohnungsbestandes zerstört und unbewohnbar. Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen strömten aus dem Osten in den Westen und suchten in Massenunterkünften eine erste Bleibe, Millionen Soldaten kehrten nach und nach aus der Kriegsgefangenschaft in ein Land zurück, für das es keine Hoffnung mehr zu geben schien. Auch in Viersen schwoll die Bevölkerungszahl bedrohlich an: lebten im März 1945 beim Einmarsch der Amerikaner nur noch rd. 22.000 Einwohnerinnen und Einwohner in der Stadt, so stieg die Bevölkerung bis zum 22.3.1947 auf 33.718 Personen an.
Drei aufeinander folgende strenge Winter hatten ein Übriges getan, die ungeheure Not der Bevölkerung noch zu vergrößern. Allein fast sieben Millionen Flüchtlinge, die bis Anfang 1946 in die britisch und amerikanisch besetzte Zonen kamen, verschärften den täglichen Kampf um Wohnraum, Brennmaterial und ums nackte Überleben. Der Kalorienbedarf war für den „Normalverbraucher“ auf 1.550 festgelegt, zuviel zum Sterben und zuwenig zum Leben, und doch sank dieser Wert, beschleunigt durch schlechte Ernteerträge sowie als Folge der strengen Winter auf kaum fassbare 1.100 Kalorien pro Tag im Frühjahr 1946. Die monatliche (!) Zuteilung von 5 kg Brot, 1 kg Nährmittel, 450 g Fleisch, 600 g Fisch, 400 g Fett, 375 g Zucker, 450 g Marmelade, 62,5 g Käse, 2 l Magermilch und 250 g Ersatzkaffee pro Person musste ausreichen. Die Hälfte aller Kinder war untergewichtig, die Stadtkinder im entstehenden Nordrhein „Westfalen wiesen ein Untergewicht von bis zu 10 % auf“.
Die „Viersener Mitteilungen“, das Amtsblatt für den Stadtkreis Viersen im Jahr 1947, dokumentierte trefflich den damaligen katastrophalen Zustand. So heißt es etwa am 26. April 1947: „Die Viersener Mitteilungen berichten über den Stand der Trümmerräumung. Nach dem ungewöhnlich langen und harten Winter hatte sich das Fortschaffen der Trümmer verlangsamt. Vor allem war es die Transportnot, die fehlenden Pferdefuhrwerke und die prekäre Treibstofflage, die den Einsatz von Lkw“s verhinderte, die zusätzliche Schwierigkeiten bot. Nun gab man sich daran, für den Transport der Trümmermassen aus der Stadt hinaus eine Feldbahn zu bauen. Die Bahn sollte aus den Räumungsgebieten um die Löh-, Remigiusstraße usw. über die Garten-, Kaiser- und Bismarckstraße zum Hohen Busch führen. Hier sollte das Gelände der geplanten Sportplatzanlage angeschüttet werden. Weitere Trümmermassen sollten mit Straßenbahnwagen nach M. Gladbach gebracht werden.“ In der Ausgabe vom 10. Mai 1947 kündigt die Viersener Polizei den Kampf gegen Verbrecher, Schieber und Schwarzhändler an. Auf einem in die Augen springenden Boykottplakat heißt es: „Während die hungrigen Massen stundenlang um das Allernotwendigste anstehen, schlemmen Schieber und Schwarzhändler auf ihre Kosten. Den Schwarzschlächtern konnte ein empfindlicher Schlag versetzt werden, indem „man ein mit allem Comfort eingerichtetes Schlachthaus in Neuwerk ausfindig machte“, wo seit 1946 wöchentlich Schlachtfeste stattgefunden hatten.
Die äußere Not treibt die Menschen in die Kirchen; selten zuvor und nie danach waren die zahlreichen Messen so gut besucht wie in den ersten Nachkriegsjahren“.
Und eine weitere unscheinbare Notiz: Am Donnerstag, dem 10. April 1947, fand die Gründungsversammlung der LG 47 statt. Am 5. Mai war die offizielle Gründungsversammlung.“
Soweit die kurze Pressenotiz in den Amtlichen Viersener Nachrichten. Das waren also die Zustände, die Anfang 1947 in der britischen Zone herrschten, als von einer Bundesrepublik Deutschland geschweige denn einem vereinigten Deutschland keine Rede sein konnte, und die erst ihr Ende fanden, als mit der Währungsreform am 20.06.1948 eine allmähliche Normalisierung des täglichen Lebens einsetzte.
Es war damals schwierig, einen Verein oder irgendeine Organisation zu gründen, denn dies war von der Genehmigung der britischen Militärregierung abhängig, und diese verhielt sich bei der Erteilung solcher Genehmigungen äußerst restriktiv“. Erst nachdem festgestellt worden war, dass für alle vorgesehenen Vorstandsmitglieder die entsprechenden „Persilscheine“ vorgelegt worden waren und somit feststand, dass sie keine „Nazis“ waren, konnte am 10 April 1947 die Gründungsversammlung stattfinden. 18 junge Menschen, der jüngste war damals zwölf Jahre alt, waren von der Sache begeistert, die Paul Funk ihnen vortrug, denn der „§ 2 der Satzungen lautete: .. 1. Förderung des Sportinteresses, 2. die Mitglieder in ihrer Freizeit durch Sport und Spiel, Wandern und Vereinsfestlichkeiten zu unterhalten.“
Hier nun ein Bericht aus dem Festheft anlässlich des 10jährigen Bestehens des Vereins 1957 über die Vorbereitungen und die anschließende Gründungsversammlung:
„Es wurde geplant und es wurde gehandelt. Oma Brassel stellte ihren Garten zur Verfügung, und es wurde gearbeitet, Tag für Tag. Es entstand eine Sprunggrube, die mit Torf, Sägemehl und Sand gefüllt wurde, ein Platz für Kugelstoßen wurde geschaffen, als Ring diente ein alter Schornsteinring der ehemaligen Ziegelei Hüpkes. Der Weg links der Freiheitsstraße von Brassel bis Tankstelle Becher war unsere Laufbahn. Ein Hochsprunggerät wurde gezimmert und die Matten für den Saal aus altem Sackleinen genäht und mit Stroh gefüllt. Trainingsabende wurden angesetzt, und so war Brassels unterer Saal zur Turnhalle geworden. Die Werbung setzte ein und die Genehmigung zur Gründung des Vereins kam.
Am 5. Mai 1947 fand die offizielle Gründungsversammlung und somit die Gründung der LGV im Lokal Brassel statt. Alles war entsprechend vorbereitet. Die Übungsstätte, die bis dahin noch nicht benutzt war, prangte in Grün. Die Sprunggrube war durch ein Band gesperrt. Die Mitglieder, derzeit 25, versammelten sich an der Weitsprunggrube. Man freute sich über das bisher Erreichte, und jeder hoffte sich einer Gemeinschaft angeschlossen zu haben, in der er sich wohlfühlen konnte. Paul Funk sagte, dass nach der heutigen Gründung eines Sportvereins doch auch in Viersen neben den übrigen Sportvereinen die Jugend in unserer schwer angeschlagenen Vaterstadt sich zusammenfinden möge, ganz gleich, woher jeder kommt. Jeder soll sich hier wohlfühlen, sich tummeln in Sport und Spiel und sich kameradschaftlich einfügen. Er schloss mit den Worten; Möge die Jugend sich wieder finden in Liebe zur Heimat und in Liebe zur schönen Leichtathletik. Der neu gegründete Verein trägt den Namen „L.G.V. „ Leichtathletik Gemeinschaft Viersen“. Dann zerschnitt er das Band und machte als erster den Sprung in die Grube und somit in die Vereinsgeschichte. Es schlossen sich der damalige 2. Vorsitzende Heinz Sauren, sowie alle Sportkameraden, die dieser Handlung beigewohnt hatten, an. Franz Woznicak senkte die Flasche, die eine Urkunde enthielt, 1 m tief neben der Sprunggrube. Jeder der Anwesenden erhielt, soweit er das Alter dazu hatte, von dem damals so knappen ,Knolly-Brandy“ zwei eingeschenkt, so war der Inhalt der Flasche gerecht verteilt“¦.
Als ersten Vorstand der LG 47 konnte Paul Funk die nachfolgenden Personen der Öffentlichkeit vorstellen:
1. Vorsitzender Paul Funk
2. Vorsitzender Heinz Sauren
1. Kassierer Otto Rixen 2. Kassierer Heinz Coenen
1. Schriftführer Karl Heinz Bohnen 2. Schriftführer Willi Beckers
Jugendwart Hermann Magolei
Mitglieder der LGV waren im Mai 1947:
Gerhard Luhnen, Heinz Jenneskens, Karl Schroeren, Ernst Schulz, Peter Schnorrenberg, Heinz Magolei, Hans Reiher, Hermann Pastors, Franz Woznizak, Rolf Zemaneck, Bruno v. Meegen, Heinz Müller , Jakob Pauwels, Kurt Schulz, Herbert Inhetpanhuis, Willi Schmidt, Heinz Sips, Hans Orta.
In der Vereinssatzung, die der Militärregierung zur Genehmigung vorzulegen war, heißt es u.a.:
„Der Verein verfolgt den Zweck, die Leichtathletik und andere Sportarten zu pflegen, insbesondere durch Abhaltung regelmäßiger Übungsveranstaltungen mit den Mitgliedern unter fachkundiger Anleitung, sowie Teilnahme an Sportveranstaltungen. Der Verein fördert durch gesellschaftliche Veranstaltungen den Kontakt unter den Mitgliedern.“